21.00 Uhr. Wir waren aufgeregt. Aber wir freuten uns sehr, nach drei Tagen Stadtleben in die Berge zu fahren. Noch 15 Minuten, bis der Bus uns beim Reisebüro abholen sollte. Wir warteten. Um 21.15 Uhr erklärte uns die Dame des Reisebüros, dass der Bus wegen dem Unabhängigkeitstag und der gesperrten Straßen nicht direkt zum Reisebüro fahren konnte. Daher würde sie uns zu einem anderen Reisebüro fahren, zu dem der Bus Zugang hatte. Backpacks an und los ging die chaotische Nachttour durch Hanoi! Nach 15 Minuten Aufenthalt – und vor allem Verschnaufspause – holte uns ein schnell sprechender Mann mit einem Motorrad ab und rief uns „Follow me!“ zu. Auf dem Motorrad?! Wir hasteten ihm hinterher, sodass wir ihm im vollbefahrenen Straßenwirrwarr Hanois folgen konnten. Auf unserer unverhofften Mitternachts-Sporttour sammelten wir noch 6 weitere Backpacker bei verschiedenen Reisebüros ein, bevor wir nach einer halben Stunde völlig außer Puste und verschwitzt beim Schlafbus ankamen. Moment mal, Schlafbus?! Der Bus hatte weder die versprochenen Schlafkabinen noch eine andere bettenartige Inneneinrichtung. Wir stiegen in einen ganz normalen Minibus ein. Nachdem wir im ganzen Bus Verwunderung aufkommen spürten, versicherten uns die anderen Reisenden, dass sie ebenfalls etwas anderes erwartet hatten. Wir bereiteten uns mental schonmal auf eine lange Nacht vor – sieben Stunden in einem super engen Bus ohne Toilette und Klimaanlage. Als wir uns gerade an die Gegebenheiten gewöhnt hatten und es schafften, die hupenden Geräusche Hanois mit Podcasts zu übertönen, hörten wir einen lauten Knall. Der ganze Bus wackelte! Der Busfahrer drückte auf die Bremse. Was war passiert? Der Busfahrer schaute uns nur schuldbewusst an und sagte „Oh sorry!“. Dann stieg er aus. Wir warteten für weitere 10 Minuten. Dann schauten die ersten Mitfahrer neugierig nach draußen. Offensichtlich hatte der Busfahrer die Markise eines Ladens gerammt, und war nun damit beschäftigt, zusammen mit der Besitzerin diese zu reparieren. Na das konnte ja heiter werden! Inzwischen waren wir uns nicht mehr sicher, ob wir in dieser Nacht überhaupt noch in Sa Pa ankommen sollten. Doch nach 20 Minuten hüpfte der Busfahrer grinsend und sichtlich zufrieden zurück in den Bus. Nach weiteren 20 Minuten hielt er wieder an: „Everyone get out!“ Was war denn jetzt schon wieder los? Wir wussten nicht, ob wir lachen oder weinen sollten. Doch als wir aus dem Bus ausstiegen, entdeckten wir daneben einen großen Bus, auf dem „Sleeper Bus to Sa Pa“ stand. Erleichterung stieg auf, als wir gemeinsam mit den anderen in den richtigen Schlafbus mit einzelnen Schlafkabinen, Matratzen und Vorhängen stiegen. Vor lauter Aufregung musste Leslie inzwischen dringend auf die Toilette. Als sie den Busfahrer nach der Toilette im Bus fragte, antwortete er nur knapp: „No toilet“. Okayyyy damit hatten wir nicht gerechnet – 7 Stunden ohne Toilette?! Los ging der dritte und hoffentlich letzte Abschnitt unserer Fahrt nach Sa Pa. Zum Glück machte der Busfahrer nach zweieinhalb Stunden eine Toilettenpause, sodass auch Leslie endlich ins Land der Träume reisen konnte.


Hin und her, her und hin. Eine schwunghafte Kurvenfahrt, die uns von einem Ende zum anderen unserer Kabine kullern ließ, weckte uns auf. Wir machten den Vorgang zur Seite. Da waren sie, die Berge Sa Pas! Doch leider hatten wir nicht die beste Sicht, denn es regnete in Strömen. Sofort bereuten wir, dass wir bei unserer Spontanreise wohl so spontan waren, den Wetterbericht nicht zu prüfen! In Sa Pa angekommen, wurden wir mit einem Taxi zum Hotel gebracht, in dem wir frühstücken konnten. Nachdem wir ein Programm für die Tour in die Hand gedrückt bekamen, fuhren wir in den zehnten Stock zur Panoramaterrasse und stellten uns das Panorama vor, während wir unsere Backpacks umpackten. Auf dem Programm stand, dass wir nur einen kleinen Rucksack mitnehmen und das restliche Gepäck im Hotel lassen sollten. Nun konnten wir beruhigt frühstücken. Hungrig stürmten wir zum Frühstücksbüffet: Nudeln, Reis und Frühlingsrollen, so viel das Herz begehrt! An das vietnamesische Frühstück mussten wir uns wohl gewöhnen. Während des Frühstücks lernten wir bereits zwei Teilnehmer unserer Tour kennen. Zuerst gesellte sich Filip aus Slowenien zu uns. Als wir uns über unsere bisherigen Erfahrungen in Vietnam austauschten, kam ein fröhlich grinsender Mann mit Zahnbürste im Mund um die Ecke. Nachdem er sich versicherte, dass wir dieselbe Wandertour machten, stellte er sich vor: Oscar aus Spanien! Schon in den ersten fünf Minuten des Gesprächs stellten wir fest, dass er einer der lebensfrohsten Menschen war, die wir je getroffen hatten – die Tour konnte nach unserer aufregenden Anreise nur noch gut werden!


Nach dem Frühstück holte uns unsere Reiseführerin für die nächsten Tage ab. Sie kam in Gummistiefeln und buntem Röckchen auf uns zu: „I am Xu. I am going to hike with your for the next two days!“ Sie grinste so breit, dass wir uns einfach mit ihr freuten! Bevor es losgehen konnte, fragte sie uns, ob wir im Hotel Gummistiefel leihen wollten, da der Wanderweg sehr rutschig und matschig war. Leslie war sich unsicher, doch Oscar sagte überzeugend mit seinem spanischen Temperament: „Du bist in Vietnam, um nass zu werden!“ Und das wurden wir, aber so richtig! Bereits die erste Straße aus der Stadt heraus führte uns durch tiefe Regenpfützen, sodass wir vor der eigentlichen Wandertour schon im Wasser wateten. Aber wir waren ja hier, um nass zu werden! Auf dem Weg trafen wir auf Frauen, die in den Bergdörfern um Sa Pa herum lebten. Gekleidet in traditionellen Kleidern und Reiskörben auf dem Rücken stellten sie sich uns vor: sie würden mit uns den Weg bis zu ihrem jeweiligen Dorf wandern. Während interessanten Gesprächen über das Leben zwischen Reisfeldern und grünen Bergen halfen sie uns, die matschigen und rutschigen Wege zu bestreiten. Und es ist keine Übertreibung, wenn wir hier schreiben, dass wir direkt IM FLUSS den steilen Berg hinabwanderten! Es regnete so stark, dass wir wirklich auf die Hilfe der netten Frauen des Berges angewiesen waren. Jede Vietnamesin schnappte sich einen Tourist, nahm ihn an die Hand und hievte ihn den ihnen so bekannten Berg hinunter. So rutschten wir alle gemeinsam bis ins Tal. Dort angekommen, mussten wir uns von unseren Helferinnen verabschieden, da sie nun den Heimweg zu ihrem Dorf antreten mussten. Bei der Verabschiedung schenkten sie uns aus Gras gebastelte Figuren, legten sie ihre Körbe ab und boten uns ihre selbst gemachten Waren an, die sie in ihren Körben transportiert hatten. Wir kauften als kleines Andenken an die spannende Wanderung einen handgefertigten Schal und ein Täschchen. Den restlichen Weg konnten wir alleine bestreiten, da er nicht mehr so steil war. Zum ersten Mal hatten wir die Möglichkeit, uns nicht auf den Weg, sondern auf die einzigartig malerische Landschaft Sa Pas zu konzentrieren. Grün-gelbe Berge mit idyllischen Reisterrassen und kleinen Häusern dazwischen – wir fühlten uns wie im Märchen!




Kurz bevor wir an unserem Übernachtungsort ankamen, machten wir noch eine interessante Erfahrung. Unser Guide warnte uns schon von weitem, dass im nächsten Dorf ein Mensch gestorben sei und heute eine Beerdigung stattfand. Betroffen stellten wir uns darauf ein, leise und respektvoll unbemerkt am Geschehen vorbeizuschleichen. Doch: Fehlanzeige! Die Beerdigung hatte nichts von dem, was wir unter dem Namen verstanden. Die Männer standen in den Hauseingängen, während Frauen um das Begräbnis herum standen und fröhlich Reiswein tranken. Schnell verstanden wir, dass hier in den Bergdörfern an Beerdigungen das Leben gefeiert wurde! Als wir passierten, wurden wir direkt dazu eingeladen, an der außergewöhnlichen Beerdigung teilzunehmen und die Tradition mit ihnen zu teilen: jeder sollte eine Person auswählen, für die sie das Happy Water (wie der Reiswein genannt wurde) tranken, um dieser Person Lebensfreude zu schenken. Außerdem wurde für die Beerdigung ein Büffel geschlachtet, der ebenfalls traditionellerweise verzehrt wurde. Lars hatte somit die Möglichkeit, an der Tradition teilzunehmen und vom Büffel zu kosten – Leslie blieb doch lieber beim Reiswein…


Nach dieser außergewöhnlichen Erfahrung waren es nur noch wenige Kilometer bis zu unserem heutigen Ziel. Xu zeigte uns auf dem Weg noch die Pflanze Indigo, mit der Frauen der Bergdörfer ihre Kleidung färbten. Sie rieb die Pflanze zwischen den Händen und versprach uns, dass ihre Hände nach einigen Stunden blau sein würden. Außerdem führte sie uns an ein kleines Häuschen, in dem Reiswein gebrannt wurde und erklärte uns den Prozess. Eine Stunde später kamen wir an unserem Homestay an. Zunächst mussten wir uns alle umziehen, denn wir waren inzwischen vom Regen durchweicht. Nach einem leckeren Mittagessen (mit dem typischen Hauptbestandteil Reis) legten wir uns zunächst etwas aufs Ohr, da das Wandern im Regen doch ziemlich anstrengend war. Außerdem luden die gemütlichen Himmelbetten gerade dazu ein, sich hineinzulegen. Leider besserte sich der Regen über den Nachmittag hinweg nicht, sodass wir nach unserem Nickerchen uns die Zeit mit Kartenspielen vertrieben. Abends kam die zweite Nachmittags-Wandergruppe – auch pitschnass – am Homestay an. Als wir ins Gespräch kamen, stellten wir fest, dass wir eine total internationale Gruppe waren: Australien, Slowenien, Spanien, Frankreich, Philippinen, Indien, Rumänien, Dänemark und Deutschland. Wir tauschten uns über die verschiedenen Länder und unsere Reisen aus, während wir auf das Abendessen warteten. Nun kam Xu mit Reispapier und Gemüsefüllung im Gepäck zu uns an den Tisch. Ihre Mission war es, uns zu zeigen, wie man Frühlingsrollen zubereitete! Unsere selbst gemachten Frühlingsrollen hatten selbstverständlich noch Steigerungspotential, aber Hauptsache sie schmeckten! Nach dem Essen ging der Abend erst richtig los. Xu ging in die Küche und holte eine große Kanne und einen Löffel. Sie grinste: „Happy water makes you happy!“. Anschließend verteilte sie Schnapsgläser und drehte den Löffel in der Mitte des Tisches. Gespannt beobachteten wir, wie der Löffel langsamer wurde und zum Stehen kam – und natürlich zeigte er auf Leslie! Somit musste Leslie den ersten Schnaps trinken. Zu diesem Zeitpunkt ahnten wir noch nicht, dass wir den Löffel reihum drehen sollten, bis zwei der Happy Water Kannen leer waren. Ein feuchtfröhlicher Abend mit internationaler Musik und „Reise nach Jerusalem“ stand uns bevor…




Am nächsten Morgen kamen wir nur schwer aus unseren Betten. Doch als wir die ersten Sonnenstrahlen auf der Haut spürten, überzeugte uns das Wetter schnell, aufzustehen. Nach einem leckeren Pancake-Bananen-Frühstück zogen wir unsere nassen Wanderschuhe an, verabschiedeten uns von der vietnamesischen Familie des Hauses und machten uns auf den Weg Richtung Reisterrassen. Natürlich mussten wir nach zehn Minuten eine Pause einlegen, damit Lars und Oscar sich im Dorfcafé ihren heißgeliebten Cappuccino to go als rettende Stärkung mitnehmen konnten. Man muss jedoch zugeben, dass das Café vor den Reisterrassen sehr einladend war. Den weiteren, immer noch matschigen Weg bestritten wir wieder mit unseren einheimischen Helferinnen. Als wir um die nächste Ecke traten, trafen wir auf einen Büffel, der seelenruhig mit Ausblick auf die Berge in den Reisterrassen badete. Als Oscar noch den Satz „He is living his best life“ losließ, konnten wir uns alle vor Lachen nicht mehr halten. Mit guter Laune spazierten wir den Rest des Weges, bis wir zu einem idyllischen Wasserfall kamen. Da die Sonne inzwischen knallte, nutzte Lars direkt die Gelegenheit, um sich abzukühlen, und sprang ins Wasser. Mit frischer Energie starteten wir den letzten Abschnitt der Wanderung – jetzt hatten wir uns das Mittagessen aber mehr als verdient!




Nach dem Essen fuhr uns ein Bus über schwindelerregende Serpentinen zurück nach Sa Pa. Dort angekommen, verpackten wir zunächst unsere dreckigen Schuhe und Jacken und duschten uns im Hotel ab. Dann nutzten wir zusammen mit zwei Mädels der Gruppe den restlichen Nachmittag, um Sa Pa zu erkunden: wir tranken Eierkaffee und frischen Maracujasaft in einer Skybar, spazierten durch die belebte Stadt und ließen uns nach der anstrengenden Wanderung die Füße massieren. Zu Abend aßen wir mit Ausblick auf die Reisterassen Curry in einer Kokusnuss und Rindfleisch gebraten in einer Bambusschale – sehr lecker! Anschließend wurden wir von einem Taxi zur Haltestelle gebracht, wo uns der Nachtbus – wohlgemerkt eine Stunde verspätet – abholte. Los ging die rasante Fahrt ins nächste Abenteuer…

