Im Königreich der Khmer

Voller Vorfreude stiegen wir in das Flugzeug, das uns in unser nächstes Bucket-List-Land bringen sollte. Nach drei Wochen Rucksackreise durch Vietnam wollten wir die letzte Woche nutzen, um nach unserem ersten asiatischen Land gleich noch ein zweites kennenzulernen: Kambodscha. Da Thailand und Vietnam als absolute Touristenmagnete so bekannt sind, verschlägt es wenige Reisende in das unbekanntere, aber dennoch faszinierende Land. Doch es hat eine Sehenswürdigkeit, die ein paar Kulturfanatiker anlockt: Angkor Wat, den größten Tempel der Welt! Auch wir wollten dieses Highlight nicht verpassen, sodass wir fünf Tage in Siem Reap verbringen wollten – und diesmal nicht spontan, sondern von Anfang an geplant.

Nur zwei Stunden später betraten wir das Königreich der Khmer. Während Lars Riel abhob und eine SIM-Karte besorgte (5 Dollar für 45 GB), bewachte Leslie unsere inzwischen sechs verschiedenen Gepäckstücke. Ein junger Khmer grüßte sie freundlich und bot an, sie in die Stadt zur Unterkunft zu fahren. Leslie stimmte zu, fragte aber gleich nach dem Preis. Dank unserer vorherigen Begegnung mit polnischen Backpackern in Vietnam, die unsere Route spiegelverkehrt bereisten, wussten wir bereits über die durchschnittlichen Preise für Tuk-Tuks in Kambodscha Bescheid – ein wichtiger Backpackertipp: immer von den Erfahrungen anderer profitieren! So wusste Leslie, dass die Tuk-Tuk-Fahrt in die Stadt 5 Dollar kosten sollte. Als der junge Khmer ihr genau diesen Preis nannte, willigte sie ein, und er bestellte uns ein Tuk-Tuk. Kaum fünf Minuten später tauchte ein strahlender Mann in seinem Tuk-Tuk auf. Er stellte sich als Sarath vor und erkundigte sich nach unserer Aufenthaltsdauer und unseren Plänen. Dann bot er uns an, eine dreitägige Tour zu den Tempeln von Angkor Wat zu machen. Er würde uns morgens abholen, uns den ganzen Tag begleiten, an den verschiedenen Tempeln absetzen, auf uns warten und uns abends zurück zur Unterkunft bringen – alles zusammen für 85 Dollar (wie wir später erfuhren, zahlte man in Kambodscha bevorzugt mit Dollar, nicht mit der landeseigenen Währung). Dank unserer geheimen Quelle wussten wir, dass eine Tuk-Tuk-Fahrt an einem Tag nicht mehr als 15 Dollar kosten sollte. Als wir dies Sarath mitteilten, stimmte er zu, die ersten beiden Tage zu diesem Preis anzubieten, und den Preis für den dritten Tag neu zu verhandeln, je nachdem, ob wir den weiter entfernten Wasserfall sehen wollten. Alle waren zufrieden: Sarath hatte seinen Job für die nächsten Tage gesichert (was zu dieser Zeit in Kambodscha nicht so einfach war), und wir hatten unseren Trip geplant.

Sarath lud unsere Backpacks auf und half uns, ins Tuk-Tuk einzusteigen. Dann schwang er sich auf sein Motorrad, und los ging die außergewöhnliche Fahrt in die Stadt. Wir passierten zunächst einige abgelegene Häuser, bevor wir dichter besiedelte Straßen und schließlich das Stadtzentrum erreichten – einen Platz mit einem riesigen Straßenmarkt. Nur fünf Minuten davon entfernt hielt Sarath an und zeigte auf unsere Unterkunft. Er grinste und meinte: „Das kenne ich. Das ist das absolute Partyhostel.“ Das konnte ja spannend werden. Doch als Sarath uns mitteilte, dass die Tour am nächsten Tag um 4:45 Uhr beginnen würde, um den atemberaubenden Sonnenaufgang über Angkor Wat zu erleben, beeilten wir uns, in der hippen „Lub D“-Unterkunft einzuchecken. Sarath hatte nicht zu viel versprochen: Im Pool wurde Wasserball gespielt, nebenan gab es ein Beerpong-Turnier, andere Gäste unterhielten sich auf den Liegestühlen, und der Barkeeper mixte Cocktails im Takt der Musik. Nachdem wir an der Hotelbar zu Abend gegessen hatten, beschlossen wir, unsere Partynächte auf die nächsten Tage zu verschieben und gingen schnell schlafen, um für den nächsten Tag fit zu sein.

Am nächsten Morgen traten wir um Punkt 4:45 Uhr aus der Hoteltür. Wir schauten uns um: Direkt vor unserem Hostel standen mindestens zehn Tuk-Tuks mit schlafenden Fahrern, die alle darauf warteten, dass endlich ihre Touristen auftauchten. Doch weit und breit war kein Sarath zu sehen! Als wir uns gerade wundern wollten, begrüßte uns ein breit grinsender Mann, der etwas größer und schlanker als Sarath war: „Hi, I’m Chien“. Chien erklärte uns, dass Sarath heute bereits einen anderen Job hatte und er als sein Bruder für ihn einspringen würde. Da traf uns wieder das spontane Reisen – doch kein Problem, der ausgetauschte Tuk-Tuk-Fahrer war genauso nett und Hauptsache wir konnten die Tempel besichtigen. Wir stiegen ins Tuk-Tuk und bereuten schon nach den ersten Metern, dass wir uns so sommerlich angezogen hatten, denn ohne Sonnenstrahlen war der Fahrtwind doch überraschend kühl. Nach zehn Minuten machten wir unseren ersten Stopp, um am Ticketschalter unsere Eintrittskarte für die Tempel zu kaufen. Anschließend tuckerten wir auf direktem Weg zu Angkor Wat, um den Sonnenaufgang nicht zu verpassen. Nachdem wir die etlichen Tourguides, die uns durch die Tempelanlage führen wollten, abwimmeln konnten, spazierten wir über einen langen Holzsteg über das Wasser bis zum ersten Tempelgebäude, dass – auch im Halbdunkeln – schon sehr beeindruckend war. Als wir durch dessen Tor traten, erblickten wir das Bild, auf das wir uns durch das Durchblättern von Reiseführern und das Lesen von Reiseblogs schon so lange gefreut hatten: am Horizont ragten die drei einzigartigen Türme Angkor Wats empor. Die Spitzen der Türme wurden in rot-orangenes Licht getaucht, während die ersten Sonnenstrahlen sich am Umriss des Tempels entlangkämpften. Der Moment, in dem wir den steinernen Steg zum größten Tempel der Welt entlangschreiteten, fühlte sich einfach nur magisch an – als ob der Tempel selbst Magie versprühte. Die ganze Atmosphäre um den Tempel herum strahlte – trotz der zahlreichen Touristen – etwas Beruhigendes aus. Nachdem wir an einem kleinen See, in dem sich die Türme Angkors spiegelten, die zweite Hälfte des Sonnenaufgangs bestaunten, schossen wir vom kleineren Tempel aus ein paar kreative Schattenbilder. Dann war es soweit: wir stiegen die steinerne Treppe hinauf und betraten den größten Tempel der Welt! Sowohl die Architektur als auch die einzigartige Aussicht vom höchsten Punkt des Tempels raubten uns den Atem und wir staunten nicht schlecht. Doch das beeindruckende Bild wurde von Buddha-Statuen getrübt, die kopflos die Gänge ihres Heiligtums bewachten. Später lasen wir nach, dass es sich hierbei um Kunstraub handelte: während des Krieges wurden die Buddha-Köpfe alle abgeschlagen und geklaut, da diese im Vergleich zum Rest des Körpers einen hohen Wert hatten. Auf dem Rückweg über den steinernen Pfad nahmen wir das Angebot einer Khmer an, mit einer professionellen Kamera schöne Fotos von uns zu machen – wir befanden uns schließlich vor dem größten Tempel der Welt…

Nach unserer zweieinhalbstündigen Besichtigung – die wir auf jeden Fall brauchten, um den kompletten Tempel zu bewundern – knurrten so langsam unsere Mägen und wir machten uns auf den Rückweg; immerhin hatten wir den größten Tempel der Welt gerade auf nüchternen Magen besichtigt. Chien holte uns am Eingang der Anlage ab und zeigte uns noch das South Gate, dass von mindestens zwanzig Buddha Statuen, die immerhin noch Köpfe hatten, bewacht wurde. Anschließend fuhr er uns direkt zu einem Restaurant seines Freundes, bei dem er uns aufgrund der Bekanntschaft einen netten Rabatt versprach – in Kambodscha lief offensichtlich alles über Connections. Lars bestellte sich das typisch asiatische Frühstück, gebratener Reis mit Ei, während Leslie doch lieber süße Pancakes wollte – es war gerade einmal 9 Uhr. Nachdem wir unser Essen genüsslich verspeist und dazu einen frischen Ananassaft geschlürft hatten, waren wir gestärkt für die nächsten Tempel. Nur fünf Minuten entfernt vom Restaurant setzte uns Chien beim Bayon-Tempel ab, der in Angkor Thom, der großen Hauptstadt, lag. Besonders bekannt war dieser Tempel für seine Gesichtertürme, die wir bei einem Rundgang um und in den Tempel bestaunen konnten. Inzwischen waren die Temperaturen ordentlich angestiegen und die Sonne prallte auf die Tempelanlage. Dies hielt Lars jedoch nicht davon ab, einen graziösen Sprung für das perfekte Blog-Tempel-Foto zu machen – danach musste er erstmal einen Liter Wasser trinken, um sich zu erholen. Im schattigen Inneren des Tempels hatten wir endlich die Möglichkeit, die wunderschönen Gravuren im Stein zu bewundern, ohne gleich zu verglühen. Die Ornamente der Säulen und Wände zeigten Darstellungen von Khmer-Episoden sowie Kriegs- und Alltagszenen von Märkten, Spielen und Geburten. Zum nächsten Tempel „Baphuon“ konnten wir zu Fuß gelangen, da er direkt gegenüber von Bayon lag. Auf dem Weg kamen wir an einem Motorrad-Parkplatz vorbei, an dem gerade eine Affenfamilie die Rucksäcke und das Gepäck der Motorradfahrer plünderten. Wir fühlten uns etwas schlecht, da wir uns nicht trauten, die Affen zu verjagen, waren jedoch gleichzeitig sehr fasziniert davon, wie geschickt und clever sie an die Inhalte der Rucksäcke kamen und tatsächlich ihre Bananen fanden. Nach diesem unerwarteten Spektakel spazierten wir zum Baphuon-Tempel, den wir über einen großen Steinsteg, auf dem natürlich tausende Fotos geschossen werden mussten, erreichten. Schwindelerregend steile Treppen führten uns über mehrere Terrassen zur Spitze des Tempels, von wo aus wir einen atemberaubenden Ausblick genossen – die Landschaft sah so unecht aus, dass wir uns beinahe wie in einem Computerspiel fühlten.

Zurück am Boden, kämpften wir uns zurück zu unserem Tuk-Tuk und Chien versorgte uns mit kaltem Wasser und erfrischend gekühlten Handtüchern. Die Tempeltour war durch die Hitze mit der Zeit ziemlich anstrengend. Doch bereits zehn Minuten mit dem Tuk-Tuk entfernt wartete ein weiteres Highlight auf uns: der mystische, halb verfallene Ta Prohm, ein von Urwald umgebener Tempel, der als Kulisse für die Filme „Lara Croft: Tomb Raider“ und „Indiana Jones“ diente. Die Besonderheit des Tempels war nicht seine Architektur, sondern vielmehr die Natur, die sich den von Menschen gemachten Tempel zurückholte. Die Mauern des Tempelgebäudes waren fest von riesigen Wurzeln der Kapokbäume und Würgefeigen umklammert – ein einzigartiges Motiv für beeindruckende Fotos! Als wir von dieser Tempel-Besichtigung zurückkehrten, ertappten wir Chien bei seinem Mittagsschlaf: er war wohl auch ziemlich platt vom frühen Aufstehen und hatte es sich in seinem Tuk Tuk gemütlich gemacht. Da wir ihn nicht stören wollten, erkundeten wir noch ein bisschen zu Fuß die Umgebung, bis er aufwachte. Überrascht von unserer schnellen Rückkehr rieb er sich die Augen und schwang sich wieder aufs Motorrad, um uns zum etwas abgelegenen Ta Som, der kleine Bruder von Ta Phrom, zu bringen.  Besonders faszinierend war hierbei das Gesicht des Bodhisattva, ein Wesen aus dem Buddhismus, das in einen Stein gemeißelt ist und nach Westen blickt.

Nun hatten wir den letzten Tempel der ersten Tempel-Runde abgehakt und machten uns zurück auf den Weg zur Stadt. Als wir um 14.00 Uhr am Hostel ankamen, verfielen wir in einen wohlverdienten Mittagsschlaf, in dem wir uns von der Hitze erholen konnten. Wir träumten von dem Märchenland verschiedenster Tempel, das für uns an diesem Tag Wahrheit wurde. Abends folgten wir der Empfehlung von Sarath und gingen mexikanisch essen. Anschließend schlenderten wir über den Markt, auf dem an jeder Ecke die Verkäufer versuchten, uns ihre Buddha-Statuen und Tempelgewänder anzudrehen. Auf dem Markt wurden wir von einem formell gekleideten jungen Mann angesprochen. Er stellte sich als Schuldirektor vor und erklärte, dass er Fundraising für seine Schule machte. Er hatte die Schule gegründet, um den armen Kindern aus den Dörfern Kambodschas eine gute Bildung in Englisch und Computerwissen zu ermöglichen. Er selbst war Professor an der Universität, und konnte mit der Hälfte seines Gehalts leben, sodass er die andere Hälfte in den Ausbau der Schule stecken konnte. Im Moment sammelte er Geld, um den Kindern eine Bibliothek einzurichten. Der Schuldirektor zeigte uns stolz ein paar Videos auf seinem Instagram-Kanal. Als er erfuhr, dass Leslie auch Lehrerin werden wollte, war er ganz im Glück und bot ihr direkt an, ein freiwilliges Praktikum bei ihm zu machen. Darauf würde sie bestimmt irgendwann zurück kommen…


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