Göttliches Wasser

„Tam Coc, Ninh Binh. Get out“. Um 6.00 Uhr wurden wir von dem uns inzwischen so bekannten vietnamesischen Akzent geweckt. Nach acht Stunden Busfahrt und einem sehr unruhigen Schlaf fühlten wir uns ein wenig gerädert. Der Nachtbus, der uns in Sa Pa eingesammelt hatte, war doch etwas spezieller: anstatt einzelner Kabinen hatte er eine Art Liegestühle, auf denen wir die Nacht verbracht hatten. Leider waren diese nicht ganz so bequem wie die luxuriösen Kabinen, sodass uns nach der Nacht alle Knochen wehtaten. Aber wir hatten mal wieder eine abenteuerliche Fahrt hinter uns – und genau das suchten wir: Abenteuer!

Als wir aus dem Bus ausstiegen, strahlte uns die Sonne ins Gesicht. Wir waren angekommen in der „trockenen Halong Bay“, wie der außergewöhnliche Ort Ninh Binh liebevoll genannt wurde. Nach einer kurzen Verhandlung fuhr uns eine Taxifahrerin zum Tam Coc Viet Ha Homestay, unserer heutigen Bleibe. Dort angekommen, traten wir durch ein Tor in die reinste Bambus-Idylle: in der Mitte ein großer Pool, und außen herum bunte Blumen und Bambushütten – wunderschön! Eine liebevoll strahlende Frau kam aus dem Haus heraus und sprach auf Vietnamesisch in ihr Handy. Das Handy hieß uns auf Englisch herzlich Willkommen in ihrem Haus. Es erklärte uns, dass unser Zimmer bereits fertig war und wir gegen einen kleinen Aufpreis schon einchecken konnten. Yippie! Als wir unsere Taschen abgelegt hatten, duschten wir uns kurz ab und glichen anschließend unser Schlafdefizit von der Nacht aus, indem wir noch zwei Stunden ein Nickerchen machten. Anschließend hatten wir neue Energie für die Erkundung Ninh Binhs.

Während Leslie ihr Outfit für den Tag auswählte, mietete Lars vom Hausherr zwei Fahrräder. Außerdem buchte er zusammen mit ihm den Bus zu unserem nächsten Ziel, da wir bereits am nächsten Tag weiterreisen wollten. Das war gar nicht so einfach, denn weder der Host noch der Busfahrer konnten Englisch. Nach einer Stunde hatte Lars es endlich geschafft, mit Google Übersetzer und Händen und Füßen den Bus zu buchen. Nun schwangen wir uns auf die Fahrräder und radelten los Richtung Höhlen und Felsen! Auf dem Weg zu den Highlights Tam Cocs fuhren wir durch das kleine Städtchen und passierten zahlreiche kleine Restaurants und Cafés, sodass unser Magen anfing zu knurren. Schnell gaben wir nach und setzten uns in ein Banh Mi Restaurant, in dem es die leckeren Baguette-artigen Sandwiches gab. Zudem erfrischten wir uns mit einem frisch gepressten Ananassaft – mmh! Da das Essen soo lecker schmeckte, bestellten wir gleich noch zwei Sandwiches zum Mitnehmen. Jetzt waren wir gewappnet für die Fahrradtour!

Als wir nach einigen Kilometern aus der Stadt rausgeradelt waren, fuhren wir in einen schmalen Feldweg hinein. Lars war sich sicher, mit diesem Weg eine geschickte Abkürzung gefunden zu haben. Wir sahen uns um und waren sprachlos – die Landschaft war einfach unbeschreiblich! Doch schon bald sollte uns auch der Weg die Sprache verschlagen: er entpuppte sich als alles andere als eine Abkürzung, da es sich eher um ein Mountainbike Trail handelte. Wir hoppelten über das Feld und mussten uns konzentrieren, nicht aus Versehen eine der zahlreichen Gänse zu überrollen. Nachdem wir unsere Fahrräder noch über ein paar Rohre gehievt hatten, kehrten wir endlich auf die normale Straße zurück – abenteuerlich!

Ein paar Ecken weiter erblickten wir bereits unser Ziel: den „Lying Dragon Mountain“, den Drachenberg. Schon von Weitem sahen wir die Stufen zum Drachen emporragen. Doch noch waren wir motiviert! Auf der Zielgerade hielt uns eine Vietnamesin mit Sonnenhut an und deutete auf ihre Einfahrt: dort standen mehrere Mopeds und Fahrräder. Wir verstanden, dass wir unsere Fahrräder hier gegen eine kleine Gebühr parken konnten, da wir sie nicht mit zum Drachenberg nehmen konnten. Als wir die Fahrräder abstellten, kam gerade eine freundliche Engländerin zurück vom Berg und rief uns zu: „Good luck!“. Als wir sie nach Tipps für den Aufstieg fragten, riet sie uns, uns bei der Hitze genügend Zeit zu lassen und nicht nach den ersten Metern aufzugeben. Na das waren ja gute Aussichten…

Nachdem wir unsere Tickets gekauft hatten, spazierten wir durch eine wunderschöne Anlage, in der man auch übernachten konnte, an einem kleinen See und an Bungalows vorbei Richtung Drachenberg. Die Lampions schimmerten am Rand des Weges. Als wir am Fuß des Berges angekommen waren, erwartete uns bereits der erste Drache. Völlig beeindruckt schossen wir die ersten Fotos, bevor wir die Tiger Cave besichtigten. Nun wappneten wir uns noch mit zwei Wasserflaschen: die Bergbesteigung konnte beginnen. Von Vietnam-Fahnen umrahmt, die uns den Weg vorgaben, erklommen wir Stufe um Stufe. Der Schweiß rann, denn die Sonne schien über den Berg, und wir kämpften uns durch die Hitze weiter Richtung Spitze. Stufe um Stufe. Mit genügend Wasser und Willenskraft gelangten wir nach einer halben Stunde zur ersten Aussichtsplattform: die Anstrengung hatte sich definitiv gelohnt! Wir konnten gar nicht genug bekommen von der Landschaft! Grüne Berge und Felder, zwischendrin das Städtchen, und auf der anderen Seite der Fluss, der sich durch das Tal zog. Kleine Boote mit winzigen, kreisrunden Hüten paddelten entlang des Flusses – wie gemalt!

Nur noch ein paar Stufen. Wir hatten es fast geschafft. Mit letzter Kraft kämpften wir gegen die Hitze und kamen oben am Tempel an. Der Drache lugte neugierig über die Bergspitze, fast als wollte er uns zuflüstern: „Gut gemacht.“ Wir genossen erstmal die unbeschreibliche Aussicht vom Tempel aus, bevor wir uns trauten, den Drachen zu besteigen. Nach einer kurzen (oder doch längeren) Foto-Session am Drachenkopf hangelten wir uns am Drachenkörper entlang. Genau in diesem Moment fing es an zu regnen! Die nasse Erfrischung kam nach dem kräftezehrenden Aufstieg wie gerufen. Noch nie hatten wir uns über Regenwolken so gefreut. Gleichzeitig war unsere Position nicht gerade optimal, denn wir mussten noch über einige Felsen drüber, um entweder an den Drachenschwanz oder zurück zum Kopf zu gelangen – eine rutschige Angelegenheit auf dem schmalen Berggrad! Doch zum Glück gaben uns die Drachenzacken guten Halt, und wir konnten uns an ihnen Stück für Stück am Drachen entlang hangeln. Zurück an der sicheren Tempel-Plattform waren wir ganz schön außer Puste, und natürlich kam pünktlich dann die Sonne wieder hinter den Wolken hervor. Stechende Hitze, und wir hatten für den Rückweg kein Wasser mehr. Während Leslie mit gutem Licht nochmals hunderttausend Fotos knipste, entdeckte Lars am Tempel einen Kasten Wasser, Kekse und Geldscheine daneben – wie praktisch, Getränke und Snacks auf Spendenbasis! Er legte 10 000 Dong hin und nahm sich eine Wasserflasche – unsere Rettung! Doch als er sich umdrehte, merkte er, wie die anderen Touristen ihn verwirrt ansahen. Was hatte er falsch gemacht? Ein paar Minuten später kamen wir mit einer deutschen Familie ins Gespräch. Und erst als der Vater Lars auf die Wasserflasche ansprach, verstanden wir unser fatales Missverständnis: die Wasserflaschen waren eine Opfergabe für die Götter! Ooooooops! Wir fühlten uns total schuldig, denn unbeabsichtigt hatten wir sehr respektlos einfach die Opfergabe aus dem Tempel genommen. Peinlich berührt traten wir den Rückweg an. Auf dem Weg fragten wir uns, ob die Götter einen guten Tausch gemacht hatten…

Hunderte von Stufen später waren wir wieder am Fuß des Drachenberges angekommen. Immer noch etwas beschämt von unserem Fauxpas machten wir uns auf den Weg zur Mua Cave, die direkt neben dem Berg lag. Durch eine schöne Parkanlage gelangten wir an eine kleine Höhle mit Sitzgelegenheiten. Von der relativ bekannten Mua Cave hatten wir etwas mehr erwartet. Somit war dieses Highlight schnell abgehakt. Vom Drachenberg aus hatten wir schon das wunderschöne Lotusblumenfeld erspäht, das wir unbedingt von der Nähe aus betrachten wollten. Wir spazierten über Holzstege durch die wunderschönen, dunkelgrünen Felder, und Leslie fotografierte jede rosa-schimmernde Lotusblüte einzeln. Außerdem beobachteten wir vier Vietnamesinnen, wie sie sich rührend um das Blütenfeld kümmerten. Nun liefen wir zu unserem Fahrrad-Parkplatz und treppelten zurück durch die Prärie Richtung Stadt. 

Der Fahrtwind strich uns um die Nase, und so langsam knurrte uns der Magen. Zum Glück hatten wir noch unser Banh Mi in der Tasche, das wir morgens bestellt hatten. Das nächste Highlight versprach uns einen idyllischen Tempel auf dem Wasser. Wir stellten unsere Fahrräder ab und suchten uns vor dem Eingang die nächst beste Bank, um unseren leckeren Sandwich zu essen. Der war über den Tag hinweg ganz schön scharf geworden! Als wir nun das Eingangstor betraten, fanden wir den Tempel auf dem Wasser nicht vor. Anstatt dessen war ein anderer Tempel vor uns. Auch schön, aber eben nicht auf dem Wasser. Lars hatte sich wohl bei seiner Orientierung im Tempel geirrt. Als wir nochmal im Reiseführer nachschauten, stellten wir fest, dass der andere Tempel sowieso schon geschlossen war. Spontanes Reisen – oder eher verpeiltes Reisen?! 

Nachdem wir darauf erstmal einen Kokosnuss-Ananas-Smoothie getrunken hatten, radelten wir zurück in die Stadt, um noch ein paar Erledigungen zu machen – auch das gehört zum Reisen dazu. Wir kauften ein paar Snacks, Mückenspray und Wasser für die nächsten Tage und wechselten nochmal Geld, um genügend Dong in der Tasche zu haben. Anschließend fuhren wir durch den Sonnenuntergang zurück zu unserer Bambus-Unterkunft. Heute wollten wir früh schlafen gehen, denn am nächsten Morgen sollten wir bereits um 7.00 Uhr von einem Bus abgeholt werden. Und der nächste Tag versprach so manche Überraschung…


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