Inselverwirrung

Mit viel Kraft hievten wir unsere inzwischen schwerer gewordenen Backpacks ins Taxi, das uns zum Hafen bringen sollte. Auf halben Weg deutete der Taxifahrer aus dem Fenster und sagte grinsend: „Cham Island“. Und tatsächlich: in der Ferne konnten wir einen ersten Blick auf unser nächstes Reiseziel erhaschen. Am Hafen angekommen, empfing uns eine Dame und erklärte uns zunächst, dass auf Cham Island kein Plastik erlaubt war. Diese Regel überraschte uns sehr – natürlich positiv – in einem Land, in dem man häufig in Cafés die Getränke in Plastikbechern serviert bekam. Schnell packten wir unser in Plastik verpacktes Gepäck um. Nun waren wir bereit für das Speedboat!

Das Boot machte seinem Namen alle Ehre: nachdem wir aus dem Hafen rausgeschippert waren, drückte der Kapitän aufs Gas und wir heizten regelrecht über das Meer. Selbstverständlich war hoher Wellengang, sodass wir von Kopf bis Fuß durchgeschüttelt wurden. Völlig zerzaust und leicht schwankend stolperten wir mit unserem Gepäck vom Boot auf den Anlegesteg. Bevor wir überhaupt unser Gepäck ablegen konnten, umzingelten uns mindestens sechs Taxifahrer, die uns zu unserer Unterkunft bringen wollten. Zunächst lehnten wir dankend ab, da Lars extra eine Unterkunft in der Nähe des Hafens gebucht hatte, sodass wir hinlaufen konnten. Bevor wir losliefen, überprüfte Lars nochmal die Adresse auf AirBnB. Das Ende der Geschichte: anstatt einer richtigen Adresse wurde nur eine Straße angezeigt, die jedoch alles andere als am Hafen war, sondern ganz im Gegenteil am anderen Ende der Insel. Nachdem wir unsere kleine Planänderung verdaut hatten und uns die Taxifahrer immer noch umzingelten, fragten wir, wie sie uns und unser Gepäck auf zwei Mopeds transportieren wollten. „No Problem“ war die einzige Antwort. Mit Zeichensprache deuteten sie uns, auf die Mopeds zu steigen. Wir zögerten und schauten uns um, doch konnten weit und breit kein Auto sehen. Wir realisierten, dass auf der Insel wohl das einzige Fortbewegungsmittel das Moped war. Somit hatten wir keine andere Wahl und schwungen uns vorsichtig hinter die Fahrer auf die Mopeds. Los ging die wilde Achterbahnfahrt – und das ist nicht übertrieben. Das Schild am Anfang der Straße zeigte über 10% Steigung an.  Uns war noch nicht bewusst, dass das Schild für die ganze Strecke gelten sollte. Rauf und runter. Runter. Rauf. In einer schwindelerregenden Geschwindigkeit düsten wir über die Hügel der Insel. Ab und zu hatten wir die Chance, auf drei Metern ebener Straße eine wunderschöne, idyllische Aussicht über die Buchten der Insel zu erhaschen. Den Rest der Fahrt verbrachten wir damit, unsere Hände in den Taxifahrer zu krallen, das Gleichgewicht mit dem dicken Rucksack zu halten und zu hoffen, dass wir bald ankamen…

Nach zwanzig Minuten Abenteuer Motorrad Taxi, die uns wie Ewigkeit vorkamen, kamen wir an dem Homestay an. Wir stiegen ab. Eine verwunderte Frau kam aus dem Haus heraus. Lars verglich die Bilder von AirBnB mit dem Haus, vor dem wir standen: es sah eindeutig anders aus wie auf den Bildern. Vergeblich versuchten wir, unsere Unsicherheit zu kommunizieren, doch scheiterten kläglich, da weder die Taxifahrer noch die Dame des Hauses Englisch verstanden. Das erste Mal auf unserer Reise sollten wir auf sprachliche Grenzen stoßen. Die Frau wiederholte immer wieder „It’s okay!“. Als sie noch jemanden anrief, der uns auf Englisch bestätigte, dass wir richtig seien, schenkten wir der Frau doch irgendwann Glauben und ließen uns zu unserem Zimmer führen. Doch offensichtlich hatte die Frau nicht mit uns gerechnet: sie bezog hastig noch das Bett, brachte frische Handtücher und stellte uns warmen Tee hin. Dann fragte sie, wie lang wir blieben wollten. Da kamen uns wieder die Zweifel, denn wenn sie unsere Buchung hätte, müsste sie wissen, dass wir zwei Tage gebucht hatten. Als sie unserem Raum verließ, erforschten wir nochmals unsere Buchung: der Name der Gastgeberin war Kim. Als Lars zur Gastgeberin ging und sie fragte, erklärte sie mit Zeichensprache, dass sie weder Kim heiße, noch eine Kim kenne. Das war wohl der Beweis: wir waren im falschen Homestay! Wir fühlten uns ein bisschen, wie in einem falschen Film oder bei „Verstehen Sie Spaß“. Doch leider kam keine versteckte Kamera zum Vorschein. Nachdem wir überlegten, wie wir unser Problemchen in Zeichensprache und schonend der Gastgeberin verpacken konnten, meldete sich auch Kim endlich. Sie schrieb uns, dass ihr Bruder mit dem Moped auf dem Weg sei, um uns zu suchen. Just in diesem Moment hörten wir, wie unten im Haus ein Motorrad ankam und ein Mann aufgeregt mit der Gastgeberin in Vietnamesisch sprach: er erklärte ihr wohl die Situation. Wir setzten unsere schweren Backpacks auf, schlichen peinlich berührt die Treppe hinunter und begrüßten unseren eigentlich Gastgeber. Nachdem wir uns über Google Übersetzer bei der Dame entschuldigten, stiegen wir – wie wir jetzt schon gewohnt waren – mit unserem Gepäck auf das Moped und wurden zu unserer richtigen Unterkunft gebracht. Was für ein riesiges Missverständnis!

An unserer richtigen Unterkunft angekommen, wurden wir von einer Frau mit Baby begrüßt, die uns warmen Tee servierte. Sie fragte uns über Google Übersetzer, ob wir Abendessen bei ihnen wollten, und legte uns ein Menü vor, aus dem wir gebratene Nudeln mit Gemüse auswählten. Dann kam die zweite Frage: „Can you drive a motorbike?“ Nachdem Lars zustimmend nickte, mieteten wir ein Motorrad für den nächsten Tag, um die Insel zu erkunden. Als wir unser Zimmer eingerichtet hatten,  machten wir uns auf den Weg zum Strand, der  uns an einem kleinen Tempel und einem Friedhof vorbei führte. Wir spazierten an der Strandpromenade entlang durch das Dorf. Überall saßen Frauen unter Bäumen und knüpften Fischernetze, während ihre Männer die runden Boote am Strand warteten. Als wir an ihnen vorbei liefen, fühlten  wir uns ein bisschen wie Außerirdische: weit und breit waren keine anderen Touristen zu sehen und alle Einheimischen schauten uns verwirrt an, so nach dem Motto: „Was machen die denn hier?“. Wir breiteten unsere Handtücher aus, doch gerade als wir uns hinlegen wollten, kamen zwei Hunde angerannt setzen sich dreist auf Leslies Handtuch. Und sie gingen auch nicht mehr runter. Nach ungefähr einer viertel Stunde zogen sie endlich weiter, und wir konnten uns in Ruhe hinlegen – dachten wir zumindest. Denn während Lars sich im Wasser abkühlte, versuchte Leslie, entspannt zu lesen – doch sie wurde von Ameisen und Sandfliegen fast aufgefressen! Daher entschieden wir, schnell wieder in unsere Unterkunft zurückzukehren; es dämmerte auch schon. Wir entspannten ein bisschen in unserem Zimmer, bevor um Punkt 7 Uhr – wie ausgemacht – ein kleiner Junge an unsere Tür klopfte. Mit großen Augen starrte er uns an und fragte: „Ready for dinner?“ Wir folgten ihm nach unten und setzen uns an den Tisch auf der Terrasse. Die Frau schaukelte gerade ihr Baby und gab dem Jungen eine vietnamesische Anweisung. Er verließ anschließend das Haus und kam fünf Minuten später mit seiner Oma zurück, die sich an den Herd stellte und anfing, Nudeln zu braten. Während wir aufs Essen warteten, bekamen wir Einblick ins Alltagsleben auf Cham Island: während die Oma kochte, hütete die Mutter das Baby in der Hängematte, und die zwei älteren Kinder rannten durchs Haus und spielten. Dann wurde uns ein sehr leckeres, aber auch sehr scharfes Essen serviert. Mit roten Köpfen und erschöpft vom Tag verabschiedeten wir uns von der Familie und gingen schlafen…

Am nächsten Morgen starteten wir mit einem leckeren Frühstück in den Tag: unsere Gastgeberin briet uns ein leckeres Spiegelei, das uns für den Tag stärkte. Anschließend zeigte sie uns das Motorbike, mit dem wir die Insel erkunden könnten. Diesmal war es jedoch kein kleines rotes Moped, sondern ein richtig großes Motorrad. Mit einem Moped würden wir vermutlich die Hügel nicht hochkommen, aber wir waren trotzdem überrascht. Nachdem Lars der Frau erklärte, dass er keinen Führerschein dafür besaß, sagte sie ohne mit der Wimper zu zucken nur: „No problem“. Dann drückte sie uns Schnorchelausrüstung in die Hand und wünschte viel Spaß. Nachdem wir das Motorrad nach zehn Minuten und Hilfe von der Oma endlich anbekamen, konnte unsere Inselrundfahrt beginnen! Doch nach der zweiten Kurve fuhr uns natürlich direkt ein Inselpolizist entgegen. Unser Atem blieb stehen, er kam immer näher; und wir stellten uns vor, wie wir mit dem Motorrad herumeierten und der Polizist direkt erkannte, dass es für uns das erste Mal auf solch einem Motorrad war. Jetzt nur selbstbewusst bleiben – und vor allem fahren! Doch als der Polizist bei uns ankan, grinste er nur und fuhr fröhlich an uns vorbei. Das Motorradfahren war hier wohl wirklich „no problem“… 

Wir fuhren die Hügel der Insel hoch und runter – natürlich in einer viel geringeren Geschwindigkeit als am Tag zuvor, sodass wir auch den wunderschönen Ausblick auf die Küste und das Meer genießen konnten. Nach fünfzehn Minuten waren wir auch schon am bekanntesten Schnorchelstrand der Insel angekommen. Wir stellten unser Motorrad am Straßenrand ab. Doch der Weg zum Strand hinunter war versperrt: am Eingang saß ein Affe, der genüsslich auf seiner Kokosnuss kaute und keine Anstalten machte, uns Platz zu machen. Doch nachdem Leslie ihren Foto auspackte, flitzte er schnell davon – fotografiert werden wollte er wohl nicht! Am Strand suchten wir uns ein schattiges Plätzchen unter einer Palme und genossen den wunderschönen Anblick: ein leerer Strand mit perlweißem Sand, türkis glitzerndem Wasser und einer sanften Meeresbrise – das reinste Paradies. Wir verbrachten den Tag damit, im Wasser zu schnorcheln, die bunten Korallenriffe und Fische zu bewundern, am Strand zu lesen,  zu dösen und einfach die Seele baumeln zu lassen, umgeben von der Schönheit der Natur.

Am Nachmittag machten wir uns erneut mit dem Motorrad auf den Weg, um die Insel weiter zu erkunden. Zunächst besuchten wir das örtliche Städtchen am Hafen. Von dort aus zeigte uns Google Maps einen Weg an, auf dem wir die Insel einmal umrunden und von jeder Perspektive aus kennenlernen konnten. Die Fahrt endete jedoch abrupt, als wir am höchsten Punkt Cham Islands auf eine Straßensperrung stießen – anscheinend wurde die umrundende Straße von Google Maps erst noch gebaut! Enttäuscht machten wir uns auf den Rückweg und entschieden uns, eine andere Bucht zu erkunden. Doch auch hier wurden wir vor eine Herausforderung gestellt: Der Zugang zum Strand war eine steile Regenrinne mit Seil. Da uns dieser Zugang doch etwas zu viel Abenteuer war, entschieden wir uns für die attraktive Alternative: gegenüber entdeckten wir ein gemütliches Café auf einem Hügel mit Blick auf die Bucht. Dort bestellten wir uns zwei erfrischende Smoothies und etwas zu essen, denn Lars konnte dem lokalen Fisch in fruchtiger Maracuja-Soße nicht widerstehen. In dieser Idylle ließen wir den letzten Abend auf Cham Island ausklingen, während die Sonne das Meer in ein tiefrotes Licht tauchte…


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