Klick klack. Wir hörten das Schloss unserer Zimmertür knacken. Dann fuhr ein Putzwagen zu uns ins Zimmer. Wir rieben uns verwirrt und überfordert die Augen. Wir hörten eine Frauenstimme mit vietnamesischem Akzent „Oh sorry“ faseln. Die Frau starrte uns staunend an, drehte sich auf der Stelle um und verließ den Raum. Sie hatte sich wohl im Zimmer geirrt. Naja, jetzt waren wir zumindest wach und konnten pünktlich zum vietnamesischen Unabhängigkeitstag versuchen, uns an den Tagesrhythmus anzupassen. Der Tag startete genauso verrückt wie der letzte zu Ende ging.


Nachdem wir uns aus dem Bett geschält und fertig gemacht hatten, machten wir uns auf den Weg zum Frühstück. Der inzwischen schon vertraute Geruch Hanois stieg uns in die Nase und erinnerte uns, dass wir wohl schnell aus unserem Jetlag-Dilirium aufwachen sollten, denn schon bald brauchten wir volle Konzentration, um hupenden Motorrädern auszuweichen. Nach zwanzig Minuten waren wir vor unserem Frühstückscafé angekommen. Ein großer Schriftzug „Hanoi Coffee Station“ war am Balkon der zweiten Etage angebracht. Doch wie kamen wir dort hinauf? Nachdem wir uns fragend umschauten, winkte uns eine Frau, die gerade in großen Wannen Geschirr spülte im Hinterhof des Hauses, zu sich, und zeigte auf eine Treppe, die uns nach oben führen sollte. Im Eingang saß ein grinsender Kellner und streichelte ein kleines Kätzchen: „Good morning. Come in!“ Ein sehr leckeres Frühstück mit Avocadobrot, Smoothiebowl und frisch gepressten Ananassaft stärkte uns für den Sightseeing-Tag, den wir vor uns hatten. Im Café schrieben wir noch eine Liste mit den Must Dos in Hanoi, bevor wir uns auf den Weg machten.
Keine fünf Meter später unterbrachen wir unsere Sightseeing-Tour schon zum ersten Mal, da Leslie zielstrebig in einen Souvenirladen stürmte. Dort hatte sie eine Tasche gesehen, die sie unbedingt haben wollte. Nachdem wir einen Plan ausgeklügelt hatten, wo genau wir in unseren prall gefüllten Rucksäcken die Tasche noch reinstopfen konnten, gab es keinen Ausweg mehr und sie wurde geshoppt. Die Verkäuferin freute sich sehr und drückte uns zum Abschied noch einen kleinen Glücksbringer in die Hand: ein Magnet mit einem vietnamesischen Puppen-Paar: „This is you and this is you!“ Das Glück konnten wir auf unserer Reise sicherlich gut gebrauchen. Jetzt aber weiter mit der Stadttour!
Ungefähr drei Läden weiter kam nun Lars ins absolute Shopping-Glück: er fand handgefertigte vietnamesische Jonglierbälle! Natürlich mussten diese direkt ausprobiert werden! Als Leslie ihn gerade bat, vorsichtig zu sein, fiel ihm ein Ball aus der Hand und rollte auf die Straße. Wie in Hanoi üblich fuhr natürlich genau in diesem Moment ein Moped vorbei… und verfehlte den Ball nur haarscharf! Leslie schrie auf, während Lars den kullernden Ball schnell wieder einsammelte und vor einem weiteren Moped-Unfall rettete. Peinlich berührt drückten wir der schmunzelnden Verkäuferin ein paar Scheine in die Hand und nahmen drei Bälle mit.

Nun machten wir uns an leuchtenden Lampions und glitzernden Läden vorbei auf den Weg zur Tran Quoc Pagode, ein buddhistischer Tempel auf dem Wasser. Als wir am Trúc Bạch See angekommen waren, waren wir aufgrund der schwülen Temperaturen fix und fertig und gönnten uns erstmal eine Pause in einem kleinen Café direkt am Wasser. Von Palmen umrahmt auf Mini Korbstühlen sitzend kam direkt ein Südsee-Urlaubsfeeling in uns auf. Als wir das Menü durchblätterten, fiel uns ein spannender Snack ins Auge: Lotuschips! Als wir den Kellner fragten, was genau das war, erklärte er uns, dass man die Staude einer Lotusblume essen kann und sie Chips daraus machen. Das klang spannend! Wir bestellten direkt eine Portion! Nach ein paar Minuten erschien der Kellner mit dem Lime Kombudscha, dem Kakao-Kokos-Smoothie und einer Schale voller knusprigen Lotuschips. Gespannt probierten wir unseren außergewöhnlichen Snack: Mmmmh! Sie schmeckten wie frische Süßkartoffelchips mit einer fruchtigen Note.



Mit frischer Energie starteten wir zur Pagode. Dort angekommen, packte Leslie erstmal ihr Pagoden-Equipment aus: eine lange Hose und eine Weste – vor dem Tempel stand die Bitte, sich aus Respekt zu bedecken. Das war bei 36 Grad im Schatten jedoch ziemlich anstrengend, sodass unsere Besichtigung der Pagode relativ schnell passieren musste, bevor Leslie einen Hitzeschlag erlitt. Tran Quoc war jedoch trotz der Hitze sehr beeindruckend: der älteste buddhistische Tempel Hanois glänzte mit einer über tausendjährigen Geschichte und einer außergewöhnlichen Architektur. Außerdem konnte man im Tempel wohl gut angeln: Lars beobachtete spannend, wie ein Angler sein Glück versuchte – jedoch waren wir uns nicht sicher, ob man in diesem Gewässer von Glück sprechen konnte, da zwei Meter neben dem Angler drei tote Fische am Ufer schwammen. Vom Tempel aus spazierten wir entlang des Westsees zu weiteren Sehenswürdigkeiten. Am Seeufer passierten wir zahlreiche Fotoshootings und lernten den neuesten vietnamesischen Foto-Trend kennen: Überall standen Fahrräder voll beladen mit Blumen. Die asiatischen Frauen, in wunderschönen Ballkleidern gekleidet, kauften sich alle einen Blumentrauß und stellten sich mit diesem vor den See. Dann warfen sie sich in Pose, schauten den Blumenstrauß an und ihr Partner musste hunderttausend Fotos machen, bis sie zufrieden waren. So bisschen erinnerte uns das an uns selbst…



Nun betraten wir unbemerkt staatliches Terrain: Wir liefen an hohen Zäunen und schwer bewaffneten Wachen vorbei. Am Ende dieses Zauns befand sich das im französischem Kolonialstil erbaute, quietschgelbe Präsidentenhaus sowie das Hồ Chí Minh Mausoleum, ein riesiges Denkmal zu Ehren des ehemaligen vietnamesischen Staatsführers. Sein Leichnam wurde hier aufgebahrt, wenn er nicht gerade auf Reisen war: von September bis Dezember reist Onkel Ho jährlich nach Russland, um von dortigen Balsamierern wieder hergestellt zu werden. Wir hatten Glück, dass er wohl gerade noch zuhause und das Mausoleum geöffnet war. Jedoch wurde der nationale Held streng bewacht: um auf das Gelände zu kommen musste man durch eine Sicherheitskontrolle, bei der man Handy und Kameras abgenommen bekam. Zudem musste man sich natürlich bedecken. Die ganze Prozedur war uns bei der drückenden Hitze zu anstrengend, sodass wir entschieden, dem Staatsführer aus der Ferne zu huldigen und anschließend zur Thăng Long Zitadelle weiterzuziehen.

Die Zitadelle von Thăng Long war der Kaiserhof mehrerer vietnamesischer Kaiser-Dynastien, unter denen Thăng Long zwischen 1010 und 1802 mit verschiedenen Namen Hauptstadt war. Somit kann man hier Gebäude und Skulpturen des ehemaligen Kaiserreichs erkunden. Wir liefen durch einen von Lampions behangenen Garten durch das Tor, durch das die Kaiser in ihre Stadt eintraten, und fühlten uns direkt kaiserlich. Als wir die hoheitlichen Gebäude besichtigten, hörten wir aus der Nähe Musik. Wir folgten unseren Ohren und fanden neben dem Kaisertor ein Wasserpuppentheater, in dem die Show gerade vorbei war – wie schade! Mit tosendem Applaus wurden die Puppenspieler verabschiedet. Wir beschlossen, uns auf jeden Fall noch ein Puppentheater anzuschauen.



Nach unserem langen Besichtigungstag knurrte uns so langsam der Magen, sodass wir uns an einem Imbiss ein Banh Mi, einen typischen Sandwich, kauften und uns damit gemütlich an den Hoan-Kiem-See setzen wollten. Bei unserer Überlegung vergaßen wir allerdings, dass heute der vietnamesische Unabhängigkeitstag um den See herum gefeiert wurde. Als wir dort ankamen, bahnten wir uns den Weg durch die Menschenmassen, vorbei an Zuckerwatte, in ferngesteuerten Autos fahrenden Kindern, sich auf dem Grill drehenden Enten und rufenden Smoothie-Verkäufern. Endlich am See angekommen, setzten wir uns ans Ufer und ließen uns unser Abendessen im Stadttrubel von Hanoi schmecken. Anschließend machten wir uns auf den Heimweg, für den wir in diesem Treiben sicherlich lange brauchen würden.


Am nächsten Morgen starteten wir nach dem Frühstück entspannt in unseren letzten Tag in Hanoi: wir gönnten uns eine Massage. Und die war so wohltuend, dass wir am liebsten direkt wieder eingeschlafen wären! Doch auch für unseren letzten Tag hatten wir noch ein paar Punkte auf unserer Hanoi-Checklist abzuhaken. Zunächst besichtigten wir Den Ngoc Son, den Jadeberg-Tempel, der am nördlichen Ende des Hoan-Kiem lag. Über die The-Huc-Brücke gelangten wir zum Tempel. Am Eingang bekam Leslie ein schickes vietnamesisches Tempel-Outfit, um sich zu bedecken. Vom Tempel aus hatten wir einen schönen Ausblick auf den See. Von dort aus sahen wir zahlreiche Menschen in einen kleinen Raum des Tempels strömen. Wir folgten ihnen und staunten nicht schlecht: in dem Raum waren zwei riesige, ausgestopfte Schildkröten ausgestellt – 2.10 m lang, 1,20 m breit und 250 kg schwer! Eine davon wurde 2016 aus dem Hoan-Kiem-See tot geborgen. Der Legende nach standen wir wohl gerade der Reinkarnation der Götter gegenüber…


Nach der Tempelbesichtigung kauften wir uns ein Eis, um uns von den hohen Temperaturen abzukühlen und setzten uns an den See. Auf einmal sprach uns ein vietnamesischer Junge an: „Excuse me, can I ask you some questions. I want to practise my English pronounciation“. Natürlich stimmten wir zu. Dann winkte er seine zwei kleineren Geschwister hinzu, die auch ihr Englisch üben sollten. Nachdem er uns nach unserem Namen und unserem Alter gefragt hatte – „Nice to meet you!“ – unterhielten wir uns über unsere Hobbies, typisches Essen in Hanoi, das vietnamesische Schulsystem, die Unterschiede bezüglich Führerschein und Alkohol zwischen Vietnam und Deutschland und so weiter. Wir waren so in das Gespräch vertieft, dass wir gar nicht merkten, wie die Zeit verging. Nach einer halben Stunde sagten die drei, dass sie nun gehen sollten, da sie nicht so viel Zeit hatten. Anschließend erklärten sie uns, dass sie am Wochenende immer mit ihrer Mutter nach Hanoi an den See gingen, um ihr Englisch zu üben. Ihre Mutter hatte dabei eine interessante Regel aufgestellt: Sie mussten mit mindestens vier unterschiedlichen Personen sprechen, bevor sie wieder nach Hause gingen. Wir verabschiedeten uns und sie liefen zurück zu ihrer Mutter, die uns grinsend ansah. Aber die Strenge zahlte sich aus: die drei konnten schon perfekt Englisch sprechen – und wir bekamen von lokalen Kids Tipps, was wir unbedingt am heutigen Abend essen sollten…
Bevor wir jedoch ein Restaurant für das Abendessen suchten, standen noch zwei weitere Must Dos auf unserer Liste. Zunächst machten wir uns auf den Weg zu L’étage“, ein Café, dass laut Google Bewertungen den besten Eierkaffee der Stadt hatte. Ein Eierkaffee (vietnamesisch: Cà phê trứng) ist ein vietnamesisches Getränk, das traditionell mit Eigelb, Zucker, Kondensmilch und Robusta-Kaffee zubereitet wird. Das Getränk wird zubereitet, indem Eigelb mit Zucker und Kondensmilch verquirlt und der Kaffee in die Tasse gegeben wird, gefolgt von einer ähnlichen Menge Eiersahne. Und Lars – der Kaffeeexperte von uns – fand den Eierkaffee sogar so gut, dass er direkt ein Rezept suchte, um ihn zuhause zu kochen.

Um 17.15 hatten wir Tickets für das Wasserpuppentheater gebucht. Das Wasserpuppenspiel ist eine weitere vietnamesische Tradition, bei der Puppen auf dem Wasser das tägliche Leben der Landbevölkerung nachspielen. Es geht es dabei auch um Legenden und historische Helden. Sie zeigen Szenen über die Bräuche und Traditionen der Menschen im Norden. Das Puppentheater war für uns sehr neu und interessant. Besonders amüsant war das Stück, in dem zwei der Puppenspieler vor die Bühne ins Wasser gingen und gemeinsam mit den Puppen einen Ehestreit inszenierten.

Auf das Puppentheater folgte ein traditioneller Abend: Im Restaurant „Met“ bestellten wir die beiden Gerichte, die uns die vietnamesischen Kinder mittags empfohlen hatten: Phở Bò und Bún Cha. Der Junge beschrieb beides als zwei unterschiedliche Arten von Nudelsuppe. Gespannt warteten wir auf unser Essen, während wir genüsslich frisch gepressten Maracujasaft schlürften. Als unser Essen kam, waren wir leicht überfordert: ein Gemisch aus Suppe, Nudeln, Fleisch (und vegetarischer Fleischersatz), Petersilie und drei verschiedenen Arten von Frühlingsrollen stand vor uns. Als wir versuchten, die Nudeln vergeblich mit unseren Stäbchen in unseren Mund zu befördern, schauten uns die anderen Gäste mitleidig an. Kurzerhand beschlossen wir, uns einen Phở Bò- Bún Cha -Chrashkurs geben zu lassen und baten den freundlichen Kellner David um Hilfe. Freudig erklärte er uns die Essenstechnik beider Speisen und bereitete uns den perfekten Löffel unserer Gerichte zu – und es schmeckte fantastisch! Mit dem richtigen Know-How gaben wir den beiden traditionellsten Gerichten des Landes eine 10 von 10! Gesättigt und glücklich überbrückten wir die letzten zwei Stunden des Abends, in dem wir über einen Nachtmarkt spazierten. Dabei bereiteten wir uns mental auf die erste Nacht im Sleeper Bus vor, die jedoch chaotischer sein würde, als wir uns überhaupt vorstellen konnten…

